Samstag, Dezember 09, 2017

Tod eines Pornostars (23): Trieb ein Shitstorm sie in den Selbstmord? – News vom 9. Dezember 2017

1. Die Pornodarstellerin mit dem Künstlernamen August Ames hat sich offenbar erhängt. Ihrem Tod vorangegangen war ein Shitstorm mit der Hate Speech von Social Justice Warriors, die Ames anfeindeten, weil sie aus Angst vor einer HIV-Infektion nicht mit Männern drehen wollte, die zuvor in Schwulenpornos mitgewirkt hatten. Der ansonsten so beliebte feministische Slogan "My body, my choice" galt plötzlich nicht mehr. Diverse Medien berichten, darunter die Stuttgarter Nachrichten und die Huffington Post. Auf Queer.de heißt es:

Der schwule Pornodarsteller Bruce Beckham, der Ames eine "ungebildete Homo-Hasserin" genannt hatte, verteidigte seine Haltung auch nach ihrem Tod. "Sie hat angeblich ihr Leben beendet, weil sie dem selben Gift ausgesetzt war, dass Schwule auf der ganzen Welt seit Jahrzehnten ertragen müssen", so Beckham am Mittwoch via Twitter. Am Donnerstag schränkte er allerdings in einem persönlich an die Tote gerichteten Tweet ein: "Es tut mir leid, dass ich dich homophob genannt habe, ohne vorher ein privates Gespräch zu führen."




2. In Berlin protestieren Sexarbeiterinnen gegen den neuerdings geforderten Hurenausweis. Teil ihres Protestes: Sie möchten sich kollektiv mit dem Künstlernamen "Alice Schwarzer" anmelden, weil sie auch Deutschlands Erzfeministin ihre Situation zu verdanken haben. Die taz und die Berliner Morgenpost berichten.



3. Don Alphonso beschäftigt sich mit den Schattenseiten der Diversity-Politik.



4. Der Schweizer Bundesrat befürwortet mit Einschränkungen das sogenannte "Wechselmodell", das von ihm als "alternierende Obhut" bezeichnet wird, allerdings nicht als Regelfall:

Zur Erfüllung dieses Auftrags hat der Bundesrat eine interdisziplinäre Studie zur alternierenden Obhut in Auftrag gegeben. Angesichts deren Ergebnisse kommt er zum Schluss, dass der Entscheid, die alternierende Obhut nicht als Regelmodell zu verankern, richtig ist. Die alternierende Obhut ist nicht nur in Bezug auf die Interaktion der Eltern anspruchsvoll, sondern hängt auch von gewissen materiellen Voraussetzungen wie dem Einkommen der Eltern sowie von strukturellen Rahmenbedingungen wie dem familienergänzenden Kinderbetreuungsangebot ab, die nicht in jedem Fall vorliegen. Ausserdem kann sie sich für das Kind wegen der häufigen Wechsel des Aufenthaltsorts als grosse Belastung erweisen. Der Bundesrat ist deshalb der Auffassung, dass die Suche nach individuellen Lösungen zu bevorzugen ist und diejenige Betreuungsmöglichkeit gewählt werden soll, die dem Kindeswohl am besten entspricht.

(...) Für den Bundesrat ist es wichtig, die Aufrechterhaltung einer regelmässigen Beziehung zwischen dem Kind und seinen Eltern nach der Trennung oder Scheidung zu fördern. Der Staat soll weiterhin an der Stärkung der Rahmenbedingungen arbeiten, damit sich beide Eltern nach der Trennung an der täglichen Betreuung des Kindes beteiligen können. In den Ländern, in denen die alternierende Obhut bevorzugt wird, erfolgt dies unter anderem in Kombination mit der Förderung alternativer Methoden zur Lösung des Elternkonflikts.




5. Japans Frauen sind zu müde, um nach einem Liebhaber zu suchen:

Frauen scheinen, so Japan Times, nun ebenso überarbeitet zu sein wie vormals die Männer mit langen Arbeitszeiten und kaum Urlaub. Das geht so weit, dass immer mal wieder Menschen, zunehmend Frauen, an Karoshi, also an Überarbeitung sterben. Dazu zählen Suizide, aber auch Todesfälle durch Herzinfarkte oder Schlaganfälle.


Das ist wohl der Preis dafür, seinen Platz in der angeblich so himmlischen Welt der männlichen Unterdrücker erobert zu haben.



6. Im Zusammenhang mit der MeToo-Sex-Panik warnt Claire Berlinski vor einer "Warlock Hunt", also einer "Hexerjagd". Passagenweise identische Artikel von ihr mit diesem Standpunkt finden sich aktuell in der auflagenstarken Tageszeitung USA Today sowie dem Politikmagazin The American Interest. Vor allem letztere Version ist sehr gelungen, aber auch sehr lang. Ich habe mich trotzdem dafür entschieden, weite Passagen aus diesem Beitrag zu zitieren – denn das ist der Beitrag, der eigentlich in Magazinen wie "Time" zumindest Seite an Seite mit der Lobrede auf die Initiatorinnen von MeToo stehen sollte:

Eine Massenhysterie hat eingesetzt. Es ist zu einer klassischen moralischen Panik gekommen, die letztlich für Frauen genauso gefährlich ist wie für Männer. Wenn Sie dies lesen, bedeutet das, dass ich eine Plattform gefunden habe, wo man nicht gerade einen Redakteur wegen sexueller Belästigung entlassen hat. Dieser Artikel zirkulierte von Publikation zu Publikation, wie ein altmodischer Samisdat, und wurde wiederholt hinter vorgehaltener Hand abgelehnt: "Sagen Sie es niemandem: Ich stimme Ihnen zu. Aber nein." Freunde haben mich gedrängt, den Artikel nicht unter meinem eigenen Namen zu veröffentlichen, indem sie den Mob anschaulich beschrieben haben, der mich von Glied zu Glied zerreißen wird und meinen Körper den Dingos überlassen wird, die dann mein Fleisch abnagen. Es sagt etwas aus, nicht wahr, dass ich zögerlicher war, über dieses Thema zu sprechen, als wenn ich mich auf die falsche Seite der Mafia, der Al-Qaida oder des Kremls begeben hätte?

Aber ich muss die Dinge ansprechen. Man braucht nur noch einen einzigen Vorwurf, um das Leben eines Mannes zu zerstören. Nur einen, damit er vor Gericht gestellt und verurteilt werden kann, und zwar über Nacht, was ihm seinen Lebensunterhalt und seine soziale Anerkennung kostet. Wir sind auf einer rasenden außergerichtlichen Hexerjagd, die nicht innehält, um den Unterschied zwischen Vergewaltigung und Dummheit zu analysieren. Die Strafe für sexuelle Belästigung ist so schwerwiegend, dass diese Straftat - wie jede andere schwere Straftat - eine eindeutige Definition erfordert. Wir haben nichts dergleichen.

In den letzten Wochen wurde eine prominente Stimme nach der anderen, viele von ihnen politische Stimmen, durch Anklagen wegen sexueller Belästigung zum Schweigen gebracht. Keiner dieser Fälle wurde bisher vor Gericht entschieden. Leon Wiesenthal, David Corn, Mark Halperin, Michael Oreskes, Al Franken, Ken Baker, Rick Najera, Andy Signore, Jeff Hoover, Matt Lauer, sogar Garrison Keillor - alle haben das berufliche Todesurteil erhalten. Einige der Vorwürfe klingen todernst. Aber andere – über die trotzdem berichtet wurde - ergeben keinen Sinn. Ich kann nicht sagen, ob die Anklage gegen diese Männer wahr ist; ich war nicht unter dem Bett. Aber selbst wenn alles zutrifft, sind einige Männer Handlungen beschuldigt worden, die nicht verletzend sind, oder wenn doch, dann nur leicht – und die nicht mit dem Urteil völliger beruflicher und persönlicher Zerstörung behaftet sein sollten.

Die Dinge, die Männer und Frauen von Natur aus tun - flirten, spielen, schmutzige Witze erzählen, begehren, verführen, verleiten, necken - werden jetzt zur Belästigung ernannt allein durch die Worte, die der Beschreibung der Handlung folgen, etwa mit der typischen Behauptung: "Ich erstarrte. Ich hatte Angst." Es spielt keine Rolle, was der Mann über diese Situation dachte. Die Pflicht, die jeweilige Interaktion und ihre emotionalen Feinheiten zu verstehen, liegt ganz bei ihm. Aber warum? Vielleicht hätte sie sein Verhalten als harmlos - ungeschickt, süß, aber fehlgeleitet, ungeschickt, unangebracht oder geschmacklos - verstehen sollen, aber ohne jede Böswilligkeit, die ausreicht, um ihn derart schwer zu bestrafen?

In den letzten Wochen habe ich mir neue Kräfte angeeignet. Ich habe mir Gedanken darüber gemacht, wie ich sie gebrauchen könnte. Ich könnte nun, aus einer Laune heraus, die Karriere eines Dekans in Oxford zerstören, der auf einer betrunkenen Weihnachtsfeier mit mir tanzte, eine Handvoll von meinem Hintern ergriff und lallte: "Ich wollte das mit Berlinski schon das ganze Semester lang machen!" Das ist genau das, was mir passiert ist. Ich sage die Wahrheit. Mir wird geglaubt werden - so wie es sein sollte.

Aber hier ist der Punkt. Ich gefror nicht zu Eis, und ich hatte auch keine Angst. Ich war amüsiert und geschmeichelt und dachte wenig darüber nach. Ich wusste ganz genau, dass dieser Mann darauf brannte, das zu tun. Unsere Tutorials, die einzeln und ohne Begleitpersonen stattfanden, waren wegen dieses Untertons intellektuell lebendiger. Er war ein Dekan bei Oxford und so hatte er Macht über mich. Ich war eine 20-jährige Studentin. Aber ich hatte auch Macht über ihn - Macht, die ausreichte, um einen ehrwürdigen Dekan dazu zu bringen, sich auf einer Weihnachtsfeier zum Deppen zu machen. Es ist nicht überraschend, dass ich es liebte, diese Macht zu haben. Aber jetzt habe ich zu viel Macht. Ich habe die Macht, jemanden zu zerstören, dessen Tutorials für mich von unschätzbarem Wert waren und mein gesamtes intellektuelles Leben zum Besseren gestaltet haben. Das ist eine Macht, die ich nicht will und nicht haben sollte.

(...) Revolutionen gegen tatsächliche Ungerechtigkeiten haben die Tendenz, in Anfälle von Rache zu verfallen, die auf Schuldige und Unschuldige gleichermaßen niedergehen. Wir sind zu nahe dran. Hysterie liegt in der Luft. Die übermäßig gedehnte Definition von "sexueller Belästigung" ist ein bekanntes Alarmzeichen. Das übermäßig gedehnte 'Gesetz der Verdächtigen' zeigte den Abstieg der Französischen Revolution hin zum Terror an. Die jetzige Revolution läuft Gefahr, so zu laufen, wie es Revolutionen so oft tun, und die Folgen werden nicht nur für die Männer schrecklich sein. Sie werden auch für Frauen schrecklich sein.

Harvey Weinstein muss brennen, da sind wir uns alle einig. Aber es gibt ein Universum des Unterschieds zwischen den Anklagen gegen Weinstein und denen, die Michael Oreskes seine Karriere beim National Public Radio gekostet haben. Es ist schwer von den Presseberichten zu unterscheiden, aber erste Berichte deuten darauf hin, dass er gefeuert wurde, weil seine Ankläger - beide anonym - behaupten, er habe sie geküsst. Vor zwanzig Jahren. In einer anderen Geschäftsstelle. Seitdem sind weitere Berichte über das aufgetaucht, was NPR als "subtilere Übertretungen" bezeichnet.

Sie sind so subtil, dass sie fast unsichtbar sind. Es scheint, Michael Oreskes hat Frauen gern geküsst. Nun ist es ein peinlicher Fauxpas, eine Frau zu küssen, die nicht geküsst werden will, aber es passiert immer wieder. Eine Frau zu küssen ist eine frühe Phase der Balz. Es ist eine Möglichkeit für Männer, die Frage zu stellen: "Möchtest du mehr?" Partnerwerbung ist kein Phänomen, das in unserem Verhaltensrepertoire so unbedeutend ist, dass wir es leicht am Arbeitsplatz auslöschen können. Es ist für das menschliche Leben von zentraler Bedeutung. Männer und Frauen werden zueinander hingezogen; die menschliche Rasse könnte sich sonst nicht fortpflanzen; und jeder, der glaubt, dass die Geschlechter aufhören, voneinander angezogen zu sein – oder sich benehmen würen, als wäre das nicht so – ob am Arbeitsplatz oder irgendwo sonst, macht sich etwas vor. Wer glaubt, es wäre für einen Mann leicht herauszufinden, ob eine Frau geküsst werden möchte oder nicht, ist irre. Die Schwierigkeit, festzustellen, ob die eigenen Leidenschaften erwidert werden, ist das Thema von 90 Prozent der menschlichen Literatur und jeder romantischen Komödie oder Popmusik, die jemals geschrieben wurde.

Romantik beinhaltet die komplexesten menschlichen Emotionen, Begehren die mächtigsten menschlichen Triebe. Es ist so einfach, die Signale falsch zu lesen. Jeder ehrliche Mann wird Ihnen sagen, dass er diese Signale manchmal falsch verstanden hat, und jede ehrliche Frau auch. Das Beharren darauf, dass es bei einem unerwünschten Kuss immer um Macht und nicht um Balz geht, ist einfach keine ernsthafte Theorie - nicht, wenn die Strafe für dieses Verbrechen so schwerwiegend ist. Auch Männer haben ein Anrecht auf Zweifel, ja sogar auf die Unschuldsvermutung.

Wir haben es jetzt mit einem Verbrechen zu tun, das mit einer schnellen und drakonischen Strafe verbunden ist, aber ohne eine angemessene Definition. Es scheint "sexuelles Verhalten" oder "Verhalten, das sexuell sein könnte" zu sein, begangen durch Wort, Tat oder gar Mimik, gefolgt von einer negativen Beschreibung der Emotionen der Frau. Das ist offensichtlich unzureichend. Menschen, männlich und weiblich, sind menschlichen Fehlern ausgesetzt, einschließlich der Tendenz zu lügen, rachsüchtig zu sein, Macht zu missbrauchen oder einfach nur einander zu missverstehen. Es ist schwer, sexuelle Belästigung genau zu definieren, denn all diese menschlichen Schwächen sind oft darin verwickelt. Aber wir müssen trotzdem gemeinsam eine Definition erarbeiten, die Sinn ergibt. Massenhysterie und die Dämonisierung von Männern werden uns nirgendwo hinführen, wo wir hinwollen.

(...) Wie Lavrentiy Beria sagte: "Zeigen Sie mir den Mann, und ich zeige Ihnen das Verbrechen." Jeder Mann fühlt sich im Innersten seiner Seele schuldig. Die Geständnisse, die wir jetzt zu hören bekommen, wurden aus dieser Stelle in den Seelen der Männer ausgegraben. Sie alle bekennen sich auf die gleiche benommene, formelhafte, mechanische Art und Weise. Es ist immer die gleiche Aussage: "Mir ist klar geworden, dass es keine Rolle spielt, dass ich meine Worte damals vielleicht als spielerisch empfunden habe. Es spielt keine Rolle, dass ich damals das Gefühl hatte, dass wir geflirtet haben. Es spielt keine Rolle, dass ich damals das, was ich gesagt habe, als in Ordnung empfunden habe. Das Einzige, was zählt, ist, wie ich diese drei Frauen dazu gebracht habe, sich zu fühlen", sagte der Abgeordnete Steve Lebsock. Nun, das ist eine bemerkenswerte Äußerung. Warum spielt es keine Rolle, was er dachte, was passiert ist? Warum sollten wir die Vorstellung, dass es nur darauf ankommt, wie sich die Frauen fühlen, als auch nur entfernt rational akzeptieren? Das Geständnis geht in die gleiche Richtung weiter: "Es fällt mir schwer auszudrücken, wie schockiert ich bin, die Tiefe des Schmerzes zu erkennen, den ich verursacht habe, und meine Reise besteht nun darin, mit meinen Dämonen fertig zu werden, und ich habe ein Team von Therapeuten zusammengestellt, und ich werde mich beraten lassen und sorgfältig über Fragen der Ungleichheit der Geschlechter, Macht und Privilegien in unserer Gesellschaft nachdenken ...".

Um Himmels willen, warum erniedrigen sich diese Männer alle selbst? Es ist nicht so, als würde ein Geständnis Vergebung bringen. Sie alle müssen wissen, dass, egal was sie sagen, dem Ritual der Beichte das Ritual der Liquidation folgt. Wenn sie sagen würden: "Ihr habt alle euren verdammten Verstand verloren, hört auf, an meiner Unterwäsche zu schnüffeln und lasst mich in Ruhe", würden sie genau dasselbe Schicksal erleben. Warum hat Bucharin nicht gesagt: "Zur Hölle mit dir. Du kannst mich töten, aber du bringst mich nicht dazu, zu kriechen", fragte ich mich, aber jetzt verstehe ich warum. Bin ich die einzige Person, die diese vorproduzierten, auswendig gelernten, mechanischen, gehirngewaschenen Entschuldigungen zutiefst gruselig findet? Wird niemand anderes an die Kampftagungen der Kulturrevolution erinnert, bei denen die Angeklagten vor die Menge geschleppt wurden, um sich selbst zu verurteilen und um Vergebung zu bitten? Diese Form der rituellen öffentlichen Erniedrigung, die darauf abzielt, alle Spuren reaktionären Denkens zu beseitigen, erwartet nun jeden, der beschuldigt wird, eine unerwünschte Rückenmassage angeboten zu haben.

Wir sind eine Kultur, die historisch gesehen moralischen Paniken und sexuellen Hysterien gegenüber aufgeschlossen ist. Vor nicht allzu langer Zeit haben wir uns fest davon überzeugt, dass unsere Kinder von Satanisten rituell vergewaltigt wurden. Gerade in den letzten Jahren haben wir dazu geneigt, komplexes Denken durch oberflächliche Slogans zu ersetzen. Wir leben in Zeiten des Extremismus und des Schwarz-Weiß-Denkens. Wir sollten das Selbstbewusstsein haben, um zu vermuten, dass die Ereignisse der letzten Wochen vielleicht kein Aspekt unserer wachsenden Aufklärung sind, sondern eher unsere wachsende Verliebtheit in den Extremismus.

Wir sollten allmählich merken, dass eine moralische Panik, vermischt mit einem Internet-Mob, eine Bedrohung darstellt. Wenn der Mob auf ein prominentes Ziel herabfährt, ist es so gut wie ein Todesurteil, sozial und beruflich. Keiner von uns führt ein Leben, das so fehlerfrei ist, dass wir nicht auf diese Weise ins Visier genommen werden können. "Zeig mir den Mann und ich zeige dir das Verbrechen."

Ihr Computer kann gehackt werden. Wollen Sie in einer paranoiden Gesellschaft leben, in der sich alle fragen: Wer ist der Nächste? Mit wem ist es sicher, frei zu sprechen? Wie würde sich dieser Witz in einer eidesstattlichen Aussage anhören? Glauben Sie, dass nur die Männer, die etwas wirklich Schlimmes getan haben, in Gefahr sind? Machen Sie sich nichts vor. Wenn das hier einmal angefangen hat, hört es nicht mehr auf. Die öffentliche Zurschaustellung erwartet uns alle.

Angesichts der Ereignisse der letzten Wochen können wir uns einer Sache sicher sein: Von nun an werden Männer mit Selbsterhaltungstrieb nicht mehr von etwas Persönlichem, von etwas Sexuellem in unserer Gegenwart sprechen. Sie werden keine unzüchtigen Witze machen, wenn wir zuhören. Sie werden in unserer Gegenwart große Achtung vor unserer exquisiten Sensibilität und Zerbrechlichkeit an den Tag legen. Viele Frauen scheinen über diese Aussicht erfreut zu sein. Die Revolution ist endlich vollbracht! Aber wie kann das die Welt sein, die wir wollen? Ist das nicht die Welt, der wir entkommen sind?

(...) Wie so viele Revolutionen läuft auch die sexuelle Revolution Gefahr, dass sich der Kreis schließt und wir wieder genau dort ankommen, wo wir angefangen haben - mit dem Ohnmächtigwerden wegen unanständiger Witze, mit der Forderung nach der Rückkehr uralter Gepflogenheiten der Ritterlichkeit, mit der Auffassung, dass wir Frauen so zart und jungfräulich sind, dass die Hand eines Mannes auf unserem Knie bei uns ein Trauma verursacht. Frauen waren lange Zeit Opfer, aber heute sind wir in vielerlei Hinsicht keine Opfer mehr. Wir haben mehr Status, Prestige, Macht und persönliche Freiheit als je zuvor. Warum sollten wir sprechen und so tun, als wären wir mit überwältigender Mehrheit Opfer, so wie früher?

Frauen, ich flehe euch an: Überlegt es euch gut. Wir fördern ein Klima, in dem Männer uns zu Recht fürchten. Ein Klima, in dem ihr gesamtes berufliches und privates Leben durch "Geheimlisten" zerstört werden kann, die von Anklägern zusammengestellt wurden, denen sie nicht entgegentreten können, durch Gerüchte im Internet, durch atemlose Berichte, die einen nach dem anderen als Schwein anprangern, oft nur auf der Grundlage der Behauptung, dass sie etwas Allzumenschliches wie einen zweideutigen Witz gemacht haben. Warum sollten wir überhaupt wollen, dass Männer solchen anstrengenden, mühsamen Tabus gegen das Zeigen ihrer Sexualität ausgesetzt werden? Diese Tabus ähneln auf nicht-triviale Weise jenen, die lange Zeit Frauen unterdrückt haben. In einer Welt mit solch anstrengenden Tabus über männliche Reinheit und Keuschheit ist es sicherlich vernünftig für Männer, so wenig wie möglich mit Frauen zu tun haben. Was springt für uns dabei heraus?

(...) Warum diese moralische Panik und warum jetzt? Ich bin mir nicht sicher, um ehrlich zu sein. Ich kann ein paar Spekulationen riskieren. Wir haben in den letzten dreißig Jahren eine massive Umstrukturierung der Geschlechterrollen erlebt. Als Hanna Rosin 2010 ihren Essay "Das Ende der Männer" schrieb, hat sie nicht übertrieben. "Was wäre, wenn", fragte sie, "die moderne, postindustrielle Ökonomie für Frauen einfach geeigneter ist als für Männer?" Was, wenn das so ist? Denn es scheint der Fall zu sein. "Die postindustrielle Wirtschaft ist der Größe und Stärke der Männer gegenüber gleichgültig", schrieb Rosin. "Die Attribute, die heutzutage am wertvollsten sind - soziale Intelligenz, offene Kommunikation, die Fähigkeit, still zu sitzen und sich zu konzentrieren -, sind zumindest nicht überwiegend männlich", argumentierte Rosin. Die Zukunft Amerikas gehöre den Frauen. "Sobald du die Augen für diese Möglichkeit öffnest, sind die Beweise überall um dich herum." Und das sind sie auch.

Lassen Sie uns dies in den plumpesten Freudschen Worten formulieren: Frauen haben Männer massenhaft kastriert. Vielleicht findet diese Panik jetzt statt, weil unsere Gefühle über diese Errungenschaft ambivalent sind. Vielleicht ist unsere Ambivalenz so tabu, dass wir sie uns nicht eingestehen, nicht rational diskutieren können. Ist es möglich, dass wir einen Wunsch ausleben, der aus unserem tiefsten kollektiven Unbewussten aufgetaucht ist - die Sehnsucht, die alten Rohlinge zurück zu haben? Das ist es, was Freud vorschlagen würde: Wir stellen uns die Rohlinge überall um uns herum als eine Form der Wunscherfüllung vor, eine saubere Leistung, die es uns gleichzeitig erlaubt, unsere Ambivalenz auszudrücken, indem wir vor Entsetzen über diese Rohlinge aufschreien.

(...) Ich bin mir nicht sicher, was uns jetzt genau über die Grenze treibt. Aber ich schlage vor, das Offensichtliche zu betrachten. Der Präsident der Vereinigten Staaten ist Donald J. Trump. Unser Land ist nicht so, wie wir es uns vorgestellt haben. Wir sind eine verblassende Supermacht in einer Welt voller Feinde. Die Menschen, die jetzt die Vereinigten Staaten leiten, können uns nicht im Entferntesten davon überzeugen, dass sie wissen, was sie tun, und in der Lage sind, für unsere Sicherheit zu sorgen. Wer von uns fühlt sich deswegen nicht zutiefst beunruhigt? Daddy-the-President entpuppt sich als unglückseliger seniler Wirrkopf. Frauen, die voller Hoffnung geglaubt hatten, dass grobe Männer bereit sind, Gewalt in unserem Namen zu verüben, damit wir nachts friedlich in unseren Betten schlafen können, haben stattdessen - psychologisch gesprochen - entdeckt, dass Papa tot ist.

Das reicht aus, um jeden zum Berseker zu machen. Vielleicht treibt diese Erkenntnis einen Teil der Hysterie an, die wir jetzt über sexuelle Belästigung erleben. Ein rasanter sozialer und technologischer Wandel, ein Wahnsinniger an der Spitze, niemand weiß, was morgen kommen wird - wir sind bereit für eine moralische Panik par excellence. Dass es etwas mit Männern und männlicher Bestialität zu tun hat, ist eine Adaption an die Theologie unserer Zeit: Die amerikanische Kultur ist von Geschlecht besessen – mindestens über das letzte Jahrzehnt hinweg. Außerdem haben wir im Oval Office wirklich einen altertümlichen Lümmel sitzen, der Frauen tatsächlich beleidigt. Ein Teil der Wut, die auf diese armen, kriechenden Kerle gerichtet ist, wurde mit Sicherheit eigentlich von Trump verursacht.

Keine Frau, die bei klarem Verstand ist, würde sagen: "Ich will die alte Welt zurück", denn wir wissen, was das für Frauen bedeutet. Wir würden es nicht einmal bewusst denken. Aber vielleicht träumen wir stattdessen davon, dass die alte Welt zurückgekehrt ist, anstatt uns mit etwas viel Schrecklicherem zu konfrontieren: Sie kommt nie wieder zurück. Wir sind jetzt die Erwachsenen. Wir haben das Sagen.

Vielleicht spielt es keine Rolle, wo die Quellen der gegenwärtigen moralischen Panik liegen. Aber könnten wir uns wenigstens klar machen, dass es sich um eine moralische Panik handelt - und sie abschütteln? Frauen, ich flehe euch an: Bitte.




7. "Männer sind jetzt offiziell Menschen zweiter Klasse – was tun wir dagegen?" fragt das Blog Justice for Men und macht einige Handlungsvorschläge.



8. Wenn eine verheiratete Frau und ein verheirateter Mann miteinander fremd gehen – warum wird dann nur der Mann wegen dieses Seitensprungs verurteilt? fragt die Times of India.



9. Die Post. Einer meiner Leser schreibt mir heute:

Sie haben vor ein paar Tagen die aktuelle Kolumne von Thomas Fischer verlinkt. Haben Sie sich auch seine eigenen Kommentare und Stellungnahmen unter seiner Kolumne durchgelesen? Achtung: Herr Fischer schreibt ab und zu von sich in der dritten Person.

Er lässt - bestätigt durch andere Kommentatoren - durchblicken, dass ihn die Veröffentlichungspraxis seiner Kolumne und die Löschpraxis der Moderatoren stellenweise sauer aufstösst.

Ein Beispiel:

"Vorerst veranstaltet die ZON-Redaktion 'Diskussionen', bevor sie Fischer-Texte veröffentlicht, die von der ZEIT (Print)Chefredaktion redigiert wurden. Ein Text, der um 9.00 Uhr eingestellt werden soll, kann dann tragischerweise erst um 17.00 Uhr erscheinen und ist, da die aktuellen Meldungen nachdrängen, am nächsten Morgen von der Seite verschwunden."

Ein Leser schreibt:

"Es ist unglaublich! Diese Kolumne ist vollständig von der ZON-Startseite verschwunden, während man dort Artikel findet, die teilweise einige Tage alt sind. An Herrn Fischers Stelle würde ich mich ziemlich verarscht fühlen und als Leser auch ..."

Thomas Fischer antwortet:

"Herr Fischer fühlt sich, wie man sich halt fühlt. Er erkennt die Absicht, und ist verstimmt. 'Verarscht' ist deshalb vielleicht nicht ganz der richtige Begriff: Er verharmlost das Problem. Das ist aber eine Frage, die von einer so überragenden, weltgeschichtlichen Bedeutung ist, dass ein 'umstrittener' Autor sie unmöglich ermessen kann. Sagen wir es so: Es gibt JournalistInnen, die wissen, was WAHR ist, und zudem noch sicher sind, in der MEHRHEIT zu sein. Das ist aber überall und mit allerlei verteilten Rollen so. Man muss das ertragen. Ein jedes Pflänzlein will ans Licht."

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